Deine Gesellschaft hat dich dahingehend konditioniert, ein starker Mensch zu sein. Jeder möchte als „starker“ Mensch betrachtet werden.
Leider hat man dir ein völlig idiotisches Bild von Stärke implantiert. Das, was du gemeinhin als stark an einem Menschen betrachtest, hat meist nichts mit wahrer Stärke zu tun, sondern mit Gefühlsarmut, übersteigerter Intellektualität, Unerbittlichkeit und Härte. All das sind keine Attribute der Stärke – es sind Zeichen spiritueller Armut!
Ein wahrhaft starker Mensch ist ein bewusster Mensch. Und ein bewusster Mensch zeichnet sich aus durch Emapthie, Impulsivität, Gefühlsreichtum, Sensibilität, Warmherzigkeit, Sanftmut und Güte. Ein starker Mensch kann mitfühlen. Er folgt spontan seinen Impulsen wie ein Kind, weil er seinem Herzen vertraut, nicht seinem Verstand. Und glaube mir, das Herz ist immer großzügig, niemals geizig. Das Herz ist immer weise, niemals töricht. Ein wirklich starker Mensch zeigt offen Gefühle und steht zu diesen. Er ist verletzlich und weiß um seine Zerbrechlichkeit, die ihn aber niemals daran hindert, aufs Neue zu vertrauen. Seine innere Wärme strahlt uneingeschränkt nach außen, steckt an und erwärmt jede Begegnung. Ein wahrhaft starker Mensch ist sanft und liebevoll, lässt Milde walten und ist fähig zu verzeihen. Ein starker Mensch ist leidenschaftlich und träumerisch, weil er weiß, dass es darum geht, für die eigenen Träume zu leben, egal wie unrealistisch sie in den Augen anderer auch sein mögen.
Die meisten Menschen, die du als stark bezeichnest, sind in Wahrheit bloß hart und unerbittlich, aber von wahrer Stärke sind sie dadurch vollkommen abgetrennt. Leider hat man dich darauf getrimmt, diesen Menschen zu folgen. Und darin besteht dein Dilemma. Deshalb herrscht in deinem Innersten Krieg, denn intuitiv, auf sehr subtiler Ebene, weißt du, dass daran etwas nicht stimmt. Doch kaum einer zeigt dir den Ausweg aus diesem Drama.
Sogar in deinen sogenannten Liebesbeziehungen bist du meist unfähig, wahre Stärke zu leben. Du folgst in deinen Partnerschaft eher deinem Verstand als der Liebe. Der Verstand aber ist kalt; er ist berechnend. Er kann mit Liebe nichts anfangen, weil er nicht fähig ist, sie zu berechnen; weil er sie niemals verstehen kann. Im Verstand existiert die Liebe gar nicht. Sie bleibt für ihn unerreichbar.
Und so verfällst du dem Irrglauben, eine Partnerschaft bedürfe dessen, was du als „Rückgrat beweisen“ bezeichnest, indem du deinen Partner für seine Vergehen bestrafst durch Härte und Unerbittlichkeit. Doch das ist der Liebe so fern wie die Erde der Sonne. Sind die Vergehen des Partners für das Kalkül deines Verstandes zu zahlreich, drohst du mit dem Verlassen oder setzt es sogar in die Tat um. Wärst du wirklich stark, würdest du in Sanftmut das heilen wollen, was dich verletzt. Du würdest in Liebe akzeptieren, dass auch du keine besseren Fehler, sondern bloß andere Fehler als dein Partner machst. Du würdest weiterhin lieben, weil es dein Herz so will, und du würdest reparieren, statt zu konsumieren, indem du deinen für dich „unbrauchbar“ gewordenen Partner gegen den nächsten, gegen sein „Nachfolgemodell“ eintauscht.
Wirkliche Stärke äußert sich niemals in Form von Härte oder Kalkül. Wann immer ein Mensch Härte und Unerbittlichkeit an Tag legt, offenbart er damit bloß seine Unbewusstheit und spirituelle Armut. Spirituelle Armut ist die größte Armut überhaupt. Sie ist die Ursache für alles Leid auf dieser Welt. Alle materielle Armut könnte geheilt sein, wenn der Mensch erkennen würde, was wahre Stärke bedeutet.
Wenn du wirklich stark sein willst, wenn du wahre Stärke zum gelebten Ausdruck bringen möchtest, dann fragst du dich in jeder zweifelhaften, unangenehmen oder lieblosen Situation: Was würde die Liebe jetzt tun?
Du fragst dich ganz einfach, was die Liebe in dieser speziellen Situation tun würde, und dann folgst du der Antwort, die in dir aufsteigt. Wenn du das kannst, dann bist du wirklich stark!
– David P. Pauswek – Der Andersmensch